total produktiv
Carla Wagener hält die Zeit an
Neulich habe ich an einem Seminar zu Zeit- und Selbstmanagement teilgenommen. Meine Chefin hatte es mir dezent empfohlen, als bei meinem Schreibtisch mal wieder dieser Füllstand erreicht war, bei dem man die Farbe der Tischplatte nicht mehr erkennen kann.
Ich komme mit meinem Schreibtisch klar, ich finde alles. Irgendwann. Aber offenbar muss man nach außen hin sortiert aussehen, um als vollwertiges Mitglied einer Bürogemeinschaft bestehen zu können. Georg hat ja selten mehr als seine Füße auf dem Tisch und fragte mich nach meiner Rückkehr hämisch:
„Ach, schon wieder zurück? Ich dachte, dich hätten sie zwei Wochen dabehalten müssen.“
Wie es war? Anstrengend. Zuerst mussten wir vor dem Tribunal der Seminarleitung unser Innerstes nach außen kehren: sagen, womit wir unsere Arbeitstage so verbringen. Woher soll ich das denn wissen? Ich starre abends auf meine To-do-Liste und frage mich, was ich den ganzen Tag gemacht habe. Erinnere mich dunkel an Unmengen von Telefonaten, endlose Meetings, Fluten von E-Mails, aber an nichts Produktives, das ich hervorgebracht hätte.
Um diese Erkenntnislücke zu schließen, haben sie uns eine Analyse unserer Tätigkeiten aufgebrummt: Fünf Tage lang sollen wir minutiös protokollieren, was wir tun. Alles. Also, alles! Auch sogenannte Nicht-Tätigkeiten wie die Kaffeepause, den Schwatz mit Kollegen oder den Gang zur Toilette. Als ob man dort nichts täte! Nach dieser Erfassungsarie sollen wir analysieren, welche der Tätigkeiten wirklich notwendig waren und welche nicht. Ob der Zeitaufwand gerechtfertigt war und der Zeitpunkt der richtige. Daraus soll man Schlüsse ziehen, ob man vielleicht mehr delegieren könnte, unter zu vielen Zeitfressern und -dieben leidet oder einfach nur schlecht geplant hat.
Da wurde es dann interessant: Ist „E-Mail vom Kollegen beantworten, in der er nach Restauranttipps für sein nächstes Kundenmeeting fragt“ notwendig? Ich kann ja mal probieren, das nicht zu machen. Er käme spätestens am nächsten Tag rein und würde mich eine halbe Stunde lang von der Arbeit abhalten, um das zu diskutieren (das fiele dann übrigens unter „Zeitdiebe“). Ist „Aus dem Fenster starren“ eine Nicht-Tätigkeit? Ist schließlich eine Konzentrationsförderungsmaßnahme, ebenso wie der stündliche Kaffee. Ist das Gespräch mit Kolleginnen nicht letztlich gut fürs Teambuilding? Gibt es überhaupt echte Nicht-Tätigkeiten? Nun, ich habe jedenfalls diesen Analysebogen eine Woche lang gewissenhaft ausgefüllt und erfreut festgestellt: Meine Arbeitszeit ist zu 100 Prozent mit Notwendigem, Sinnvollem und Produktivem ausgefüllt.
Darauf erst mal einen Kaffee mit der Lieblingskollegin.
Erschienen in: CWT Connect, Ausgabe 01-2015 (PDF, ca. 9 MB) Illustration: Matthias SeifertNeueste Artikel von annette lindstädt (alle ansehen)
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