„bücher haben keinen komischen akzent“ – niederländische literatur zum sprachenlernen
Vor Weihnachten ging es wieder los mit der Blogwichtelaktion meines Lieblingsnetzwerks Texttreff: Wir schenken uns gegenseitig Blogbeiträge. Die Losfee hat mir Birte Mirbach zugeteilt: Sie ist Übersetzerin für Englisch, Spanisch und Niederländisch. Da ich seit einiger Zeit Niederländisch lerne, habe ich mir von ihr einen Beitrag darüber gewünscht. Sie hat eine Fülle toller Lesetipps zusammengestellt. Das ist für mich ein guter Ansporn, mit der Sprachenlernerei nochmal ordentlich auf die Tube zu drücken. Vielen Dank für diese Einblicke, Birte!
Ich finde es zum Sprachenlernen immer hilfreich, Bücher in dieser Sprache lesen zu können. Bücher haben keinen komischen Akzent, kauen beim Reden nicht auf einer Pfeife herum und legen es beim Sprechen nicht darauf an, Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen. Sie bleiben geduldig, wenn ich ein Wort nicht verstehe und erst das Wörterbuch zücken muss. Und wenn ich eine Stelle trotzdem nicht verstehe, kann ich sie noch einmal lesen. Und noch einmal. Und sie jemand anderem zeigen, der sie vielleicht besser versteht. Grund genug also, auf Entdeckungstour zu gehen und das Regal mit niederländischer beziehungsweise flämischer Lektüre zu bestücken.
Die folgende Auswahl an Autoren ist rein subjektiv und natürlich völlig unvollständig; sehr bekannte Autoren wie Maarten ‘t Hart oder Tessa de Loo habe ich direkt weggelassen. Von allen aufgeführten Schriftstellern gibt es auch zumindest ein oder zwei deutsche Übersetzungen.
Fangen wir doch mit etwas Leichtem an: Kinderbücher. Den lustigen Postboten Pitje Puck von Henri Arnoldus kennt sicher noch der eine oder die andere aus der eigenen Kindheit. Aber wer von uns hat damals darauf geachtet, dass er eigentlich Pietje Puk heißt und aus den Niederlanden kommt? In seinen Büchern erlebt er immer kleine Alltagsabenteuer und springt ein, wenn jemand Hilfe braucht. Nur leider geht dabei gerne mal etwas schief, da trinkt dann eben das Pferd, auf das er aufpassen sollte, in einem unbeobachteten Moment das Aquarium des Bürgermeisters aus oder die Sachen für den Flohmarkt werden gestohlen, und Pitje muss zusehen, wie er das wieder in Ordnung bringt.
Eine Stufe höher liegt dann schon der belgische Jugendbuchautor Bart Moeyaert. Als siebter Sohn eines Zimmermädchens und eines Grundschullehrers studierte er zunächst selbst auf Lehramt, bevor er sich endgültig dafür entschied, sein Geld als Autor von Jugendbüchern, Theaterstücken und Drehbüchern zu verdienen. In seine Geschichten fließen auch seine Erfahrungen als Kind in einer Großfamilie ein, wie z.B. in „Brüder“. Zugegeben, ich habe noch kein Buch von ihm gelesen, aus der Altersgruppe bin ich denn doch heraus, konnte dafür aber eine Lesung von ihm miterleben. Und erzählen kann er auf jeden Fall.
Eine junge Autorin, die mir persönlich auch sehr gut gefällt, ist Renske de Greef. Sie schreibt in erster Linie Kolumnen für Zeitschriften, worin sie sich schon einmal Fragen stellt wie die, was mit dem Gemüsehändler passiert, nachdem James Bond auf einer wilden Verfolgungsjagd seinen Stand zertrümmert hat. Auf Deutsch gibt es bisher nur ein Buch mit Kolumnen über ihr Liebesleben, die sie als 18-Jährige ein Jahr lang für ein Jugendlichenmagazin geschrieben hatte. Andere Schätzchen wie „Seks in Afrika“ mit Kolumnen über Liebe, Sex und Aids in Ostafrika und ihr Roman „En je ziet nog eens wat“ über die Subkultur der jungen Menschen, die ehrenamtlich und oft ziemlich naiv und ahnungslos für ein paar Monate als Entwicklungshelfer nach Afrika kommen, sind leider bisher nur auf Niederländisch erhältlich. Man hat also keine Ausrede, sie nicht in der Originalsprache zu lesen.
Etwas bekannter als Renske ist wahrscheinlich ihr belgischer Kollege Dimitri Verhulst. Seinen großen Durchbruch hatte er mit seinem autobiographisch geprägten Roman „De helaasheid der dingen“ (Deutsch: „Die Beschissenheit der Dinge“), der inzwischen auch verfilmt worden ist. Wobei mir die Verfilmung nicht so gut gefallen hat, da versucht wurde, dem Film mit aller Gewalt noch eine Art Happy End aufzupfropfen, das es beim Buch so nicht gibt. Heile Welt darf man bei Verhulst nicht erwarten, Tabubrüche hingegen schon. Sehr interessant ist auch sein neuester Roman „Der Bibliothekar, der lieber dement war als zuhause bei seiner Frau“ (im Original: „De laatkomer“): Um seiner lieblosen Ehe und seiner dominanten Ehefrau Moniek zu entkommen, verfällt Désiré Cordier auf eine schräge Idee: Er will so tun, als sei er dement. Mit geradezu diebischer Freude spielt er den geistigen Verfall so gut, dass seine Angehörigen ihn schließlich in ein Heim bringen, wo er endlich frei zu sein glaubt.
Für die Krimifans empfehlen kann ich noch Corine Hartman mit ihrer Krimireihe um die selbstbewusste, aber auch von Zweifeln geplagte Kommissarin Nelleke de Winter, der das Verschwinden ihrer Tochter zu schaffen macht. Die Niederlande sind das Heimatland von Größen wie Rembrandt oder Van Gogh, und passenderweise spielt Nellekes erster Roman im Künstlermilieu. In einer Galerie wird eine Studentin tot aufgefunden, Gewalteinwirkung kann nicht festgestellt werden. Doch Nelleke mag nicht einfach an eine Überdosis glauben und hakt nach. Hartman erzählt nicht nur einfach eine handelsübliche Ermittlungsgeschichte, sondern ergründet auch eine interessante Frauenfigur und macht es dem Leser nicht leicht, die Lösung des Falls zu erahnen.
Wer sich mit niederländischer Literatur beschäftigt, kommt auch um die Klassiker wie Hella S. Haasse nicht herum. Sie verbrachte einen Teil ihrer Kindheit in Indonesien, als es noch niederländische Kolonie war, was sich auch in ihrem Werk niederschlägt; viele ihrer Romane spielen in der tropischen Kolonie und sind durchaus kritisch. Ihren Durchbruch hatte sie 1948 mit der Novelle „Oeroeg“ (Deutsch: „Der schwarze See“). Darin erzählt sie die Geschichte zweier Jungen in Niederländisch-Indien, der eine Sohn eines niederländischen Unternehmers, der andere, Urug, Sohn eines indonesischen Vorarbeiters, der in der Firma des niederländischen Unternehmers arbeitet. Als Kind gelingt es ihnen, trotz der unterschiedlichen sozialen Schichten Freunde zu sein, egal, ob den Erwachsen das gefällt oder nicht. Aber je älter sie werden, desto stärker treten die Unterschiede hervor. Und obwohl Urug sich sehr darum bemüht, sich wie ein Niederländer zu verhalten, wird er doch immer wieder ausgegrenzt. Beim Abschied des Ich-Erzählers, der zum Studium in die Niederlande ziehen will, treten die Differenzen zwischen ihnen offen zutage, die Kluft lässt sich nicht mehr überbrücken.
Diese Liste wäre aber nicht vollständig ohne – Comics. Oder „stripverhalen“ wie sie auf Niederländisch heißen. Ja, ich kann es einfach nicht lassen. Ich lese die Dinger einfach zu gerne, und gerade in Belgien ist die Auswahl riesig. Eine meiner Lieblingsreihen ist „De avonturen van Nero“ („Die Abenteuer von Nero und Co.“) von Marc Sleen. Seine Figuren sind Antihelden mit menschlichen Schwächen, und die Situationen oft absurd und skurril. Häufig verarbeitet er in seinen Geschichten auch aktuelle Ereignisse. Von seinen früheren Alben wurden mehrere auch ins Deutsche übersetzt. Kurioserweise merkt man den Übersetzungen an, dass sie bei einem Kölner Verlag erschienen sind. So die kleinen sprachlichen Eigenheiten der Rheinländer …
Und jetzt wünsche ich noch viel Spaß beim Entdecken der niederländischen Literatur.
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[…] Nach niederländischer Literatur gefragt werden die meisten Menschen wohl mit den üblichen Namen wie Janwillem van de Wetering, Tessa de Loo, Cees Noteboom, Connie Palmen und Maarten ‘t Hart antworten, aber die Niederlande und Flandern haben noch viel mehr zu bieten. Ich lade Sie deshalb zu einer kleinen, subjektiven Entdeckungstour ein: https://worthauerei.de2016/01/buecher-haben-keinen-komischen-akzent-niederlaendische-literatur-z… […]
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