#mein_erstes_mal

Mein erstes Barcamp. Ich hatte ja keine Ahnung. Klar hatte ich schonmal von solchen Un-Konferenzen gehört, sie jedoch als notorisch Strukturliebende bisher eher skeptisch beäugt. Ich erwartete etwas völlig Chaotisches, an dem nur Nerds teilnehmen. Und dann war es ganz anders.

Das Barcamp Rhein-Neckar passte zeitlich ganz gut, wurde mir quasi vor die Haustür geschoben, und nach acht Wochen am anderen Ende der Welt wollte ich mich zur Abwechslung einfach mal regional vernetzen. Ich meldete mich also an und dachte: „Vermutlich kommen da ein paar Hanseln, die alle jünger sind als ich und nur über Linux und andere Geheimwissenschaften reden.“ Doch schon im Vorfeld beim Klicken durch die Website des Barcamps Rhein-Neckar merkte ich, dass die Stimmung nett und die Themenvielfalt breit sein würde. Ganz meiner zurückhaltenden Art entsprechend bereitete ich dann auch gleich ein Sessionthema vor, kürzte meinen 3-Stunden-Workshop „Vernachlässigte Kurztexte – Headline, Intro, Bildunterschrift & Co.“ auf 45 Minuten runter und ging hin.

Früher standen hier die Einsatzfahrzeuge der Heidelberger Feuerwehr, heute ich

Früher standen hier die Einsatzfahrzeuge der Heidelberger Feuerwehr, heute ich

Coole Location

Wie oft bin ich schon an der ehemaligen Feuerwache im Heidelberger Westen vorbeigekommen und habe gedacht: „Hier wollte ich doch schon längst mal ins Co-Working gehen“. Denn seit knapp zwei Jahren bietet hier das Dezernat 16 – Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft Menschen Raum zum Arbeiten, kreativen Schaffen und lebhaften Austauschen. Und so kam hier auch das Barcamp in den Räumen unter, die ihren ganz eigenen, leicht industriell-gammeligen Charme haben. Schade fand ich, dass die Stangen, an denen früher die Feuerwehrleute runterrutschten, nicht mehr zu benutzen waren. Denn nachdem ich an Sessions in Kantine und Turnhalle teilgenommen und in der Leitstelle gegessen hatte, fühlte ich mich schon fast selbst wie eine Brandschützerin.

Doch der Reihe nach.

Strukturierte Un-Struktur

Erste Überraschung am Morgen: Huch, so viele Leute! Rund 150 Menschen aus der Region hatten sich eingefunden, um sich auf diesen ungeplanten, aber keineswegs unstrukturierten Tag einzulassen. Ein Barcamp beginnt klassischerweise mit der Sessionplanung. Das läuft so: Das Orgateam begrüßt alle Teilnehmenden und fordert zu Sessionvorschlägen auf. Ich fand mich mit rund 40 anderen auf der Bühne ein, wo wir Schlange standen, um der Reihe nach unsere Sessionideen vorzustellen. Finden sich per Handzeichen genügend Interessierte, schreibt man seinen Vorschlag auf eine Karte, gibt die beim Orgateam ab und sucht sie später auf dem Sessionplan, damit man weiß, wann man in welchem Raum in die Bütt zu steigen hat. Bei meinem Thema gingen ziemlich viele Hände hoch, was bei mir zunächst zu einem spontanen Fluchtreflex führte. Jedoch ließ mich das unmittelbar einsetzende Gebauchpinselt-Fühlen dann aber doch dableiben und meine Session halten. Zum Glück war ich erst nachmittags dran und konnte vorher ein bisschen Atmosphäre saugen und rausfinden, wie das Barcamp so tickt. Es tickte ziemlich wohlwollend, neugierig und locker – genau mein Ding.

Menschen, die auf Smartphones starren

Sehr cool fand ich auch, dass man hier endlich mal ungehemmt nebenher twittern, facebooken oder das Mitteilungsbedürfnis auf anderen Kanälen austoben durfte. In meinem teilweise recht analog orientierten sonstigen Umfeld ist das oft verpönt – doch hier fiel man fast schon auf, wenn man nicht immer mal auf dem Smartphone rumtippte. Gleichzeitig musste ich mich an die Erkenntnis gewöhnen, dass natürlich auch mein Vortrag getwittert und Bilder davon online gestellt wurden. Sogar das Fernsehen war da, Hilfe! Da ich diesen Workshop bisher nur im recht geschützten Raum des Netzwerks Texttreff gehalten hatte, war das ein ganz neues Gefühl. Überhaupt, Twitter: Noch bin ich mit diesem Medium nicht so recht warmgeworden, obwohl es mir eigentlich entgegen kommt, kurze Kommentare in die Welt zu lassen. Ich taste mich aber ran, wozu auch dieses Barcamp beigetragen hat. Und das sogar gleich doppelt: @worthauerei und @rumreiserei.

Bunte Themenwiese

Wo sich früher Feuerwehrleute fit hielten, lernte ich was über Stimmfitness

Wo sich früher Feuerwehrleute fit hielten, lernte ich was über Stimmfitness

So habe ich dann gleich als erstes an einer Session teilgenommen, in der es um Twitter ging: Ruth Konter-Mannweiler und Astrid Christofori hatten mich mit „To tweet or not to tweet – was Shakespeare mit Twitter zu tun hat“ angelockt: ein exzellentes Beispiel für eine gute, verführerische Headline, die durch den Workshop auch eingelöst wurde.

Danach schrieben wir Geschichte und gründeten die Ironblogger Rhein-Neckar – eine Art virtuelle Gouvernanten-Gruppe, die kontrolliert, ob man auch brav wöchentlich Blogbeiträge absondert. Tut man das nicht, ist ein Solibeitrag für die gemeinsame Getränkekasse fällig. Gruppendruck, da steh ich drauf. Man wird also in Zukunft regelmäßiger von mir lesen, allerdings nebenan in der rumreiserei, denn gleich zwei Blogs anzumelden fand ich dann doch etwas gewagt.

Nach der Mittagspause (mit leckerem veganem Catering von Holy Kitchen) lernte ich bei Roman Jaburek auf sehr kurzweilige Art, wie ich die Stimme nicht an- sondern abspanne und meine Mittellage finde, auf der es sich gelöst und authentisch sprechen lässt.

Dazwischen war ich selbst dran, was Spaß machte und offenbar ganz gut ankam.

In der letzten Session am Nachmittag erfuhr ich von Doris Mayer, wie es Flüchtlingen geht, die in den Heidelberger Patton Barracks und in der Patrick Henry Village untergebracht sind. Das hat mich sehr berührt. Doris stellt einiges auf die Beine, um die Menschen zu unterstützen. Hier hat sie einen Eventkalender verlinkt, über den Heidelberger/innen mit den Flüchtlingen in Kontakt treten und ihnen helfen können.

Und, wie war’s?

Nach der letzten Session ging es nochmal in den Hauptraum zur zentralen Abschlusssession und Feedbackrunde, die überwiegend positiv ausfiel. Zu Recht! Das Orgateam hat Großes geleistet und einen tollen Rahmen geschaffen, in dem es sich netzwerken und über den Tellerrand blicken ließ. Ich habe interessante Menschen getroffen, einiges Neues gehört, über die inhaltliche Bandbreite gestaunt, und verbinde diverse für mich bislang nur virtuelle Nasen nun mit echten. Dass man in 45 Minuten keine inhaltlichen Tiefenbohrungen hinkriegt, versteht sich von selbst, und so hatte ich gar nicht erwartet, Unmengen neuen Wissens aufzusaugen. Das mache ich bei spezifischeren Veranstaltungen oder gezielten Fortbildungen. Beim Barcamp ging es mir darum, mich regional stärker zu vernetzen und mich auch mal mit Menschen außerhalb meiner bisherigen Filterbubble auszutauschen. Und das wurde zu 100 Prozent erfüllt. Klasse Sache, ich komme wieder :-).

Berichte über das Barcamp Rhein-Neckar:
(bitte gern in den Kommentaren eigene Beiträge ergänzen, ich nehme sie dann hier auf)

Ralph Kühnl: Barcamp Rhein-Neckar 2015: Die Videos #bcrn15

Rhein-Neckar-Zeitung: Barcamp Rhein-Neckar: Neue Ideen und Perspektiven im Dezernat 16

Zeitraffer-Video: 9 Stunden in 30 Sekunden

Liste der Medienberichte auf der Barcamp-Seite

Julia Schönborn (aus dem Orgateam): Barcamp Rhein-Neckar in Heidelberg

 

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Texterin, Redakteurin, Bloggerin. Liefert Konzept, Text und Redaktion für Web, Werbung und Corporate Publishing. Bloggt hier übers Leben und Texten und dort übers Reisen: rumreiserei
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  1. […] zu sagen, wie sehr ich mich gerade über die Resonanz, persönlich oder via Internet, freue. Ihr wart und seid das Barcamp, und es war uns eine große Freude, dass Ihr dabei […]

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