Urst scheen!
Dieser Text erschien ursprünglich als Blogwichtelgeschenk bei meiner geschätzten Kollegin Judith Burger.
Sie hat inzwischen ihr Blog stillgelegt, also hab ich ihn nach Hause geholt – eine Liebeserklärung an Leipzig, seine Bewohner*innen und seine Sprache:
Leipzig himmle ich an, seit ich ein paar Jahre lang dort leben durfte. Es war eine spontane Liebe, die sich gleich beim Antrittsbesuch einstellte. Dann tasteten wir uns ran, und nach einem Jahr zog Leipzig und ich sank hin. Na gut, strenggenommen war der Umzug beruflich veranlasst. Aber er hätte auch nur aus Liebe geschehen können. Bestimmt!
Mittlerweile lebe ich schon seit einiger Zeit wieder im Südwesten, doch Leipzig ist und bleibt meine persönliche Wohlfühl-Stadt. Und das liegt nicht nur an ihrer architektonischen Schönheit, am Bärlauchduft im Auenwald im Frühjahr, an der wochenlang geschlossenen Schneedecke im Winter und am Sommerglück an den Seen im Süden, an Kabarett und Musik, an dem vielen Platz, den man überall hat, und an seinen liebenswerten Bewohnern.
Nein, es liegt auch an der Sprache. Ja, ich höre Sie schon ausrufen: „Iiiih, Sächsisch!“ und bekenne trotzdem: Das Leipziger Sächsisch, das mag ich sehr. Nur Unwissende behaupten, Sächsisch sei schrecklich. Kann eine Sprache schrecklich sein, die eine so wunderbare Steigerungsform wie „urst“ hervorgebracht hat? Sätze wie „Das war urst lustig!“ vermisse ich in meiner derzeitigen Wahlheimat entsetzlich. Urst! Das klingt so entschieden, so bestimmt und entschlossen – dagegen kann ich mich einfach nicht wehren. Ein weiteres meiner sächsischen Lieblingsworte ist „Muzeln“ (mit langem U gesprochen), das ich viel entzückender als „Flusen“ finde. Selbst das bildhafte „Staubmäuse“ kann nicht dagegen anstinken. Muuuuzeln. Herrlich. Ich staubsauge nie unterm Bett, nur um täglich an dieses entzückende Wort denken zu dürfen.
Sehr schön finde ich auch diese Gruppe von Verben, die sich mit ihrer Kombination aus „i“ und „l“ in mein Herz geschlichen haben: „ningeln“ und „illern“ – das ist doch viel possierlicher als ihre standardsprachlichen Entsprechungen „jammern“ und „lugen“. Mein Favorit aus dieser Gruppe ist „biehbln“, das man gar nicht mit einem einzigen Ausdruck übersetzen kann, sondern umständlich umschreiben muss: eine komplizierte Arbeit verrichten, z. B. einen Knoten aufmachen oder etwas Winziges, das sich verklemmt hat, wieder entklemmen. Fummeln träfe es vielleicht noch am ehesten, aber das ist durch seine anderweitigen Konnotationen verdorben und kann daher die Mühsal, die mit solchen Tätigkeiten verbunden ist, niemals so vollendet wiedergeben wie „biehbln“: „Isch mussde den Gnodn uffbiehbln!“ Da schwitzt man doch schon beim Zuhören mit!
Gehen wir gleich in die Nachbarabteilung, zur Anatomie: Warum sollte man „Kopf“ sagen, wenn man das sanfte „Nischl“ nehmen kann? Auch viele weitere Körperteile sind auf Sächsisch nett benannt: „Gusche“, „Läffl“, „Flosse“ und „Laadschn“ – das ist doch viel gesprächiger als diese einsilbige „Mund“, „Ohr“, „Hand“ oder „Fuß“. Dabei ist es übrigens wichtig, auf eine weiche Aussprache zu achten – ohnehin die Grundvoraussetzung für den sächsischen Zungenschlag. Beispiel gefällig? Was ist ein schnödes „Ich gehe nach Hause“ gegen ein sanft genuscheltes „Isch mache heeme“? Überhaupt, dieses weiche Nuscheln! Einfach herrlich. Wenn man jemanden um Rat fragt und der murmelt ein sanftes „Weeß’sch ooch nüsch“, dann fühlt man sich doch gleich viel weniger frustriert als bei der zackig-hochdeutsch entgegenschleuderten Nichtauskunft.
Achtung, Selbstversuch: Sagen Sie mal „Weeß’sch ooch nüsch“ und gucken Sie dabei in den Spiegel. Na? Sehen Sie? Da muss man einen Kussmund machen, sonst geht’s gar nicht.
Zum Küssen, dieses Sächsisch! Sag ich doch.
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