die sache mit dem glauben

Puh, gewichtige Themen aufn Montag Morgen: angestoßen durch einen Besuch der Nicolaikirche am Wochenende und eine Fronleichnamsdiskussion hier, muss ich das jetzt einfach mal festhalten.

Ich hatte am Wochenende Besuch von Verwandten, die noch nie in Leipzig waren. Ein fester Bestandteil der Besuchstour ist dann immer die Nicolaikirche, der Ort, von dem 89 die Wende eingeleitet wurde. Zufällig stolperten wir rein, als Pfarrer Führer gerade seine Kirchenführung begann. Ich dachte noch: Den wollte ich schon immer mal „in echt“ erleben, bleibste mal 10 Minuten da. Nach eineinviertel Stunden gingen wir wieder raus. Und nein, er hat nicht nur von der „Wendegeschichte“ gesprochen, sondern sein Verständnis von der Rolle dieser Stadtkirche so klar dargelegt, dass es mich überzeugte:

Warum z.B. Sarkophage und Fürstenlogen keinen Platz dort haben und warum die Tür der Nicolaikirche immer offen steht – auch während der Gottesdienste. Warum es ein Wunder war, dass '89 keine Gewalt geschah und wie der geschützte Raum zur Keimzelle wurde. Wie Mitarbeiter der Stadtreinigung Courage zeigten, als sie die Kerzenreste vor der Kirche zwar beseitigten, aber die intakten Kerzen wieder anzündeten, mit welchen einfachen Mitteln man die anwesenden Stasimitarbeiter enttarnte und viele andere kleine und große Begebenheiten am Rande.

Da stand ein kleiner unauffälliger Mann in Jeans und Weste, mit kurzem grauem Haar, der 300 Menschen fesselte: Mit der Kraft seiner Worte, mit der Überzeugung seines Glaubens und natürlich auch mit rhetorischem Geschick. Selten habe ich Glauben und Tun so überzeugend vereint gesehen. Wenn ich mir im Vergleich dazu dann Fronleichnamsprozessionen vorstelle, haben sie für mich einfach was von Theater. Ja, vielleicht sind sie einfach nur das: Eine Kunstform der Religion?

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Texterin, Redakteurin, Bloggerin. Liefert Konzept, Text und Redaktion für Web, Werbung und Corporate Publishing. Bloggt hier übers Leben und Texten und dort übers Reisen: rumreiserei
3 Kommentare
  1. Susi sagte:

    Liebe An_n_ette, auch Religion wird “inszeniert” (—> Theater), ohne
    Zweifel. Wichtig ist allerdings, dass noch was bleibt, wenn der Vorhang
    fällt. ;-)

  2. Biggi sagte:

    Liebe Susi, wieder mal ein schöner Satz. Aber das Gefährliche ist nur,
    dass es so vielen Menschen nicht bewusst ist, dass sie im Theater
    sind……

  3. Wolf Schneider sagte:

    Liebe Annette,

    das muss ein guter Typ sein, dieser Pfarrer von der Nicolaikirche. Es
    gibt sie überall, diese Leute, für die das Leben nicht sinnlos ist,
    sondern die was gefunden haben, worfür sie leben, innerhalb wie
    außerhalb der Kirchen, innerhalb wie außerhalb der Parteien, NGOs, und
    so weiter …

    Die Fronleichnamsprozession habe ich hier in Bayern mir natürlich auch
    des öftern angeschaut: Was für eine Inszenierung! Nur halt immer
    dieselbe. Es gibt so ein chinesisches, klassisches Theater, die machen
    auch immer dasselbe, und es muss immer genau so gemacht werden wie
    bisher. Da darf keine Regisseur oder Choreograf ran, der sich mal was
    Neues traut.

    Die gleichbleibenden Rituale, in der Kirche und vor Gericht zum
    Beispiel, die haben schon was. Die sind imstande, uralte Umgangsformen
    zu erhalten, auf jeden Fall wirken sie systemstabilisierend. Wenn man
    das will. Im Falle der Kirchen will ich es überwiegend nicht, im Falle
    der Gerichte großenteils schon.

    Die freie Kunst, die immer neue Gestaltungen wagt, ist mir jedenfalls
    viel näher …

    :-)
    Wolf

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